Dazwischen
Montag, 30. September 2024

Ja, sagten die Schwalben, und kehrten um.

Kapitel 13

Mit einem Schlag wurde es hell im Raum. Die Sonne spitzelte hinter dem Tower Visavis hervor, wegen irgendwelcher schiefer Winkel und Spiegelungen erhellte sie Agneta's Büro von einer Minute auf die andere völlig. Der Chef stand von seinem Platz auf, drückte auf zwei Knöpfe an der Wand neben der großen Glasfassade und mit einem Surren entrollten sich die Segel. Agneta war derart in die Analyse einer Aufzeichnung vertieft, dass sie vom einen wie vom andere nichts mitbekam. Erst als sie sich zu Ihrem Boss drehte um ihm etwas mitzuteilen, bemerkte sie, dass er nicht mehr neben ihr saß. 'Wir sollten eine Pause machen. Es ist schon fast dreizehn Uhr. Haben Sie Hunger? Ich lasse uns was kommen.' 'Hier gibt es doch die neue Kantine, im Woke7, wollen wir die testen?' 'Hervorragende Idee, gehen wir.' Ein Codewort später erloschen die Bildschirme, die beiden verließen den Raum.

Keine zwei Minuten später kam eine junge Frau in das Büro, steckte die Chipkarte, die zum Öffnen der Türe notwendig gewesen war, in die Brusttasche der Uniform der Reinigungsfirma und warf einen Staubwedel einmal um die eigene Achse, streckte die Hand nach ihm aus, als er zurück in ihre Richtung fiel, verfehlte ihn und musste das Ding vom Boden aufheben. Sie fluchte leise, drehte sich zur Türe um, die jedoch immer noch verschlossen war, und begab sich an Agnetas Rechner. 'Wollen wir mal sehen.' Blitzschnell entsperrte sie das Gerät, suchte weitere Sekunden nach einer Datei, jubilierte unter lautem Einatmen über das, was sie gefunden hatte, steckte einen USB-Stick vorne am Computer an und initiierte den Download.

20 Minuten stand da.

Leises Fluchen. 'So lang? Mist.'

Doktor T schüttelte sich aus der jungen Frau heraus, die wie eingefroren neben ihm stehen blieb, tippte mit spitzen Fingern zwei Buchstabenkombinationen in die Tastatur und rieb sich die Hände, als der Balken, der den Fortschritt der Übertragung anzeigte in großer Geschwindigkeit zu wachsen begann. Keine dreißig Sekunden später war es erledigt, er drehte sich zurück in die Frau, die das Ergebnis hinnahm, ohne sich besonders zu wundern, den Stick entnahm, den Computer herunterfuhr und sodann den Raum verließ.

Agneta schlürfte währenddessen ihre Suppe mit Hochgenuss, besprach mit dem Boss die neuesten, politischen Entwicklungen im Land, sie gab viel auf seine Einschätzung und sah dazwischen beim Fenster hinaus. Die Kantine befand sich im Erdgeschoss am Ende der Straße, kurz vor der Flaniermeile der schönen Stadt, viele der Bürohengste und -innen gingen zu Beginn ihrer Mittagspause in diese Richtung, da es genug Läden und Büdchen gab, in denen man hervorragende Mittagstische bekommen konnte, Kuchen, Bowls, Hamburger oder Hotdogs, vegetarische Eintöpfe, Gemüse am Spieß, Maroni oder im Sommer Eis. Die Meile hieß Inflagreta, schon seit vielen Jahren, ihr richtiger Name interessierte keinen mehr. Agneta sah das eine oder andere bekannte Gesicht vorbei huschen, an ihrem Platz am Fenster, vor allem aber viele Unbekannte, es gab kaum etwas, das sie mehr liebte, als fremden Menschen in die Gesichter zu schauen. Sie konnte sich jedes merken, auch wenn sie es nur einmal gesehen hatte. Es war dies eine Angelegenheit, die niemand kannte, sie hatte niemandem davon erzählt. Anders als mit jedem anderen Eindruck auf dieser Welt gab es jedoch bei dieser seltsamen Fähigkeit der fast fünfzigjährigen Agneta keine Überforderung in Quantität. Sie speicherte die Gesichter irgendwo hin, ein Raum mit Terrabytes voller Platz, der niemals voll war.

Nach vielen Dingen, Musik, Gerüchen, Gesprächen oder Bildern erging es ihr komplett anders. Da gab es enge Grenzen des Erträglichen. Nur Gesichter - immer möglich.

Gesichter.

Agneta hatte nie in ihrem Leben ein hässliches Gesicht gesehen, beim ersten Anblick. Sie hatte Gesichter hässlich werden sehen, wenn sie die Personen kennengelernt hatte. Die kalten, brutalen Augen, zu engen Schlitzen verdreht. Die tiefen vertikalen Falten neben den Mündern, denen der Zynismus und die grausamen Worte eingeschrieben wurden. Das war es, was Gespräche von ersten Anblicken unterschied. Das reine Sehen von lebendigen Gesichtern war für sie magische. Nicht viele Leute waren schön geblieben, oder schöner geworden im Laufe der Zeit. Die meisten hatten das, was sie in ihnen gesehen hatte, verloren, durch Worte und Taten. Das klingt oberflächlich und ist doch das Gegenteil davon. Agneta verurteilte die wenigsten Menschen, weil sie, durch das Merken und Erkennens auch etwas herausgefunden hatte, unbewußt, das wie ein Lesegerät über die Gesichter drüber scannte und durch Mustervergleich Geschichten ableiten konnte. Agneta sah Geschichten.

An Augen emotionale Zustände, oder ob wer Drogen genommen hatte, was keine schwere Übung ist, an sich. Sie sah gleichzeitig, ob die Person als Trauma-Folge oder Dummheit drauf war, auf Verdrängung, Hass oder Kummer, oder ob es sich um reine Psychopathen handelte. Sie hatte das Pech oder Glück gehabt in ihrem Leben, einmal, sehr jung, einem solchen näher bekannt gewesen zu sein, weswegen sie das Pattern dieser, gottseidank seltenen Spezies auch lesen, und vorallem unterscheiden konnte.

Sie hatte aus diesem und anderen Gründen keine Angst vor den meisten Menschen.

'Woran denken Sie, Agneta?' Der Chef sah sie verzaubert an, ihr Blick war an einem Mann mit Hund hängen geblieben, dessen Hut in der Sonne blaugrün schimmerte, sie lächelte, als hätte sie sich gerade völlig verliebt.

'Ich - oh - der Mann erinnert mich an wen.' Sie merkte sofort, dass er ihrem Blick gefolgt war und wußte, wohin sie ihre Aufmerksamkeit gerade wandte.

'Ich mag es, wie sie Menschen ansehen. Als würden Sie ihnen auf den tiefsten Grund gehen.'

Einige Etagen weiter oben überlegte Doktor T den besten Zeitpunkt, den USB-Stick in seinen Computer zu laden und beschloss, dass er keine Sekunde länger damit würde warten können. Er steckte das blaue Ding an, tippelte etwas, nahm auf seinem Bürostuhl Platz und verschränkte seine bekrallten Hände hinter seinem Kopf. 'Way down we go!' Er lachte wie irre los.

Drei Sekunden später blinkte des Doktors Bildschirm in allen Regenbogenfarben, eine Diskokugel blendete sich langsam ins Bild, Musik hob an, die den ungläubig starrenden Despoten dazu brachte, seine bewehrten Hände auf die Ohren zu packen, kein leichtes Unterfangen, ohne sich dabei selbst in den Kopf oder Hals zu stechen mit den langen Nägeln, und alles übertönend brüllte er 'Was zur Hölle ist denn hier passiert?'

Des Bosses Handy blinkte, 'Ah wir sind auf Sendung, Agneta, schauen sie mal her!' nahm den Anruf entgegen, hielt sich das Ding vor Agnetas und sein Gesicht und grinste, mit Untermalung von DJ Shadows Song 'Building Steam with a Grain of Salt' in das Gerät. 'Grüß Gott, Herr Doktor! Wie ist das werte Befinden nach dieser, doch gröberen Niederlage?' Der Doktor starrte entgeistert auf seinen Computer. 'Wie?' Er stotterte das Wort mehr, als das er es aussprach. 'Ich danke Ihnen, dass sie uns Zugang zu ihrem innersten System gegeben haben. Ich hoffe Sie genießen ..' Doktor T unterbrach unter völliger Hysterie schreiend, Worte die niemand mehr verstehen konnte, stolperte vom Sessel, versuchte das Kabel des Computers aus der Wand zu reißen und löste damit ein erneutes Beben im Regal aus, die herbeigeeilten Adjutanten versuchten möglichst unauffällig, so wenig Uhren und Pokale aufzufangen als möglich, und das Seufzen der Seelen in ihren bunten Nebeln erfreute alle Anwesenden zutiefst. Alle, bis auf einen.

Agneta und der Oberboss blickten sich tief in die Augen. Das haben wir gut gemacht, dachten sie, und es ist noch lange nicht vorbei. Sie redeten noch eine kleine Weile ohne Worte vor sich hin, besprachen die eine oder andere Strategie, wie sie weiter vorgehen würden können, um erstens Lena Topatsch davor zu bewahren, weiterhin, dem Doktor ihre Seele zu verkaufen, um Manni und Karl zu retten aus ihren Verträgen, um das Regal final zu leeren und ja, um den Doktor zu heilen am Ende aller Tage. Sie hatten kleine Befürchtungen, dass Kyle sich als Nachfolger anbieten würde, aber wie es so ist, mit dem Bösen, Verständnis und Liebe haben es noch nie aus der Welt endgültig verbannen können, da gab es nur eine Möglichkeit, und die war, zwar ein Stückchen näher gerückt, aber immer noch in weitester Ferne gründlich verschollen.

'Darf ich Sie noch auf ein Nachspeiserl einladen, werte Agenta?' 'Nein danke, Sir, heute nicht.' 'Gut, gehen wir. Zahlen, bitte!'

Crazy Crow Lady

Wenn ich in der Küche steh und aufräume oder koche, kommen die vier Krähengeschwister nach einer Weile angeflogen, machen auf sich aufmerksam. Ich starte dann immer gleich rauf aufs Dach, mit ein paar Erdnüssen und frischem Wasser. Sie warten oben schon, am Geländer, auf den Sesseln oder den Kaminen.

Heute sind sie das erste Mal alle einfach geblieben, und als ich wieder in der Küche zurück war, sind zwei von ihnen beim Fenster vorbei geflogen, mit Erdnüssen im Schnabel. Wie um mir zu zeigen: wir nehmen Deine demütige Gabe an, Erdling.

Ich liebe die, es zieht mir so ein Grinsen auf, dass es sie gibt.

Morgen kaufe ich mal Grammeln, falls noch jemand einen Tipp hat, womit ich sie erfreuen kann, danke, gerne her damit.

Sonst sitz ich mit Maske weiterhin daheim, habe mich getestet, das war keine Ahnung wie gescheit, aber ich hab Corona und bin jetzt unschlüssig, wie ich weiter vorgehen soll.

Möchte gerne wieder arbeiten gehen, gerne auch mit Maske, aber vielleicht eher erst ab Mittwoch oder Donnerstag? Wie entscheidet man das? Auch hier wäre ich sehr verbunden über eine Einschätzung. Krank fühle ich mich seit heute nicht mehr. Nur mehr bissi Kratzen im Hals, etwas Schnupfen und leicht müde. Das letzte kann aber auch andere Ursachen haben.

Bleibt gesund und bleibt stabil so gut es geht!

Samstag, 28. September 2024

Für Friedi

Vor einigen Tagen unter den Trauerweiden gesessen und nachgedacht. Darüber, wie und ob Bäume wahrnehmen, die Welt die sie umgibt, die Tatsache, dass sie an einem Ort ausharren, eventuell so etwas wie Hunger, Durst oder Blätterabwurfslust im Herbst. Der Wind strich leise durch die Zöpfe der Weiden, mir schien, ihr Modus könnte zeitlos sein, als wären sie in der Lage, den Fokus auf ein Ereignis zu legen, das sich gerade abspielt, oder der Zeit einen Schnipps zu geben, dass sie wie in Zeitraffer vorangetrieben wird. Man braucht Augen, um zu sehen, Ohren um zu hören und eine Haut, zu spüren. So denken wir, so denke ich. Was wäre, wenn es Rezeptoren gäbe, die Eindrücke sammeln, zu einem Zentralorgan transportieren, das nicht lokalisierbar irgendwo in den Zellen existiert, und damit die Umwelt spürbar wäre? Ich glaube, das ist verrückt, so etwas zu denken, aber wenn ich zumindest meine Vorstellung der Wahrnehmungsfähigkeit von Bäumen auf sie umlege, gerate ich in einen schönen, äonen-alten Flow, der mir das Gefühl gibt, ich könnte sie hören und spüren, ihre Beweggründe verstehen. Die Tatsache, dass sie nicht von Ort und Stelle können, verwurzelt an einem Fleck stehen, gibt mir ein Gefühl der Ruhe. Die Möglichkeit, ihr Zeitempfinden umzulegen auf mein mittelbares Erleben dieser Zustände, gibt mir einen Hinweis auf die Ewigkeit und einen Zustand, der das Hier&Jetzt in eine Relation setzt, die der Hektik und dem Getriebensein etwas entgegnet.

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